Das Wort Gefühle könnte als Aufforderung verstanden werden: geh’ und
fühle! Und diese Aufforderung braucht es meinem Empfinden nach immer
mehr. Die Schnelligkeit in unserem Alltag, die andauernden Reize und
Informationen, kein (ab)Warten mehr, sofortige Bedürfnisbefriedigung,
Selbstbezogenheit, Egoismus verbreitet sich auffällig schnell und
lässt kalt werden gegenüber anderen. Sich nicht einlassen auf
jemanden, sich nicht interessieren für die andere, keine Fragen mehr
stellen, sind Standard. Reine Lustorientierung und Unlustbeseitigung
bestimmen den Kontakt zu anderen. Die andere ist Bemühen und
Dranbleiben nicht wert, Wertigkeiten, die es bräuchte, um in Beziehung
zu kommen. Zeitverschwendung! Wenn es nicht passt, dann weg damit,
nichts investieren vor allem keine Gefühle.
Gefühle werden nicht zugelassen, sie werden weggedröhnt, in Sport
ertränkt, im Rausch der Likes auf Instagram verdrängt. Den
unterkühlten Fake wahren und schön an der Oberfläche bleiben, denn was
in der Tiefe lauert könnte überwältigen. Und wen würde es auch
wirklich interessieren, wie es einem geht? Und könnte überhaupt jemand
damit umgehen? Könnte ich damit umgehen?
Ich als Betroffene, ich sage euch: Ich fühle! Und ich fühle stark! Und
als Fühlende kann ich sagen: ja, es ist oft heftig - von heftig schön
bis heftig traurig!
Die Tränen der Freude aus Dankbarkeit, weil meine Freundin mir ein
Jahr lang jeden Tag eine „guten Morgen“ Nachricht geschickt hat,
nachdem ich verlassen wurde, sind auch Tränen des Schmerzes, die mir
zuvor zugefügt wurden. Herzrasende Fassungslosigkeit, als ich von
heute auf morgen gleichgültig, gnadenlos, ohne ein nachvollziehbares
Kommentar, ignoriert werde, tut höllisch weh und hat mich irreführend
dazu gebracht, mich selbst in Frage zu stellen. Zittrige Knie vor
freudvoller Aufregung bei der Umarmung meines Kusins zu haben, im
Moment vor der Kirche, unmittelbar nachdem er geheiratet hat, hat mich
beflügelt. Herzzerreißende Liebe, wenn meine Schwester wortlos meine
Hand nimmt, wenn mir in einem scheinbar freudvollen Moment die Tränen
das Gesicht runterkullern, weil sie mein Herz in ihrem trägt, sprengt
meines vor Zuneigung. Melancholische Stille, wenn ich mich am letzten
Urlaubstag vom Meer, meinem heilbringendem Lieblingsort, verabschiede
und nicht weiß, wann und ob ich wiederkomme, macht mich nachdenklich
und meine Seele traurig. Friedvolle, herzerwärmende Erleichterung und
Dankbarkeit, weil meine Freundin mir in einer schicksalhaften
Situation einen mitfühlenden Brief schreibt, nachdem wir uns jahrelang
nicht gesehen haben. Ein zögerliches „ich hab dich lieb“ von meiner
Oma bedeutet mir die Welt.
Gefühle fühlen ist nicht immer leicht, aber das macht uns und das
Leben aus! Und macht das Leben bunt und schillernd!
Ich bin ein emotionaler Mensch und ich spreche über meine Gefühle. Ich
verstecke mich nicht und ich verliere auch keinen Zacken aus meiner
Krone, wenn ich ausspreche, wie ich mich fühle. Auch wenn die (oder
häufig der) andere es in dem Moment gleichgültig abtut und sich cool
geben möchte, weil sie (oder häufig er) unbeholfen ist, bewahre ich
meine Authentizität und bleibe mir treu!
Und wenn ich sage: du hast mich verletzt, du hast mir wehgetan, das möchte ich so nicht. Und auch wenn ich sage: ich mag dich, du bedeutest mir was, du bist mir wichtig, du spielst in meinem Leben eine Rolle. Geht frau dabei ein Risiko ein, weil die Gefühle vielleicht nicht erwidert werden oder unverstanden bleiben? Vielleicht. Mir kommt es heutzutage oft so vor, dass es am besten wäre und mitunter auch erwartet wird, emotional distanziert und unbetroffen zu sein, um den anderen nicht in eine möglicherweise unangenehme Situation zu bringen: mit Gefühlen konfrontiert zu werden. Weil dann müsste man sich ja vielleicht mit sich selbst auseinandersetzen, sich Gedanken machen über sich oder noch viel schlimmer über die andere. Das könnte anstrengend werden, mich aus der Komfortzone katapultieren, mein Herz berühren, verletzen. Das Überraschungsei der heutigen „Beziehungen“: Unverbindlichkeit, Ungebundenheit, Spiel, Spaß und Sex.
Aber was riskiere ich, wenn ich zu meinen Gefühlen stehe, nur weil die
oder der andere es vielleicht nicht kann? Das Risiko, verletzt zu
werden. Aber am verletzendsten ist es doch, wenn ich meine Gefühle
unterdrücken muss, mich distanziert geben soll, mich emotional
unbetroffen und unbeteiligt und gleichgültig präsentieren soll. Wie
trist und einsam sind zwischenmenschliche Kontakte ohne die bunte
Vielfalt aller Gefühle, die uns lebendig machen?
Und wenn frau keine Gefühle mehr für ihr Gegenüber hat oder diese
nicht zeigt, was macht das mit uns und unserer Gesellschaft? So werden
wir zu leicht austauschbaren Konsumgütern. Passt nicht, kann weg, es
gibt viel Anderes, Besseres. Willst du Gefühle von mir, dann lauf ich
davon (blockieren, ghosten these days). Emotionale Distanz ist das
Kriterium der Stunde, um überhaupt in Kontakt zu kommen (paradox par
excellance) und mehr wird es auch nicht, das sei von vornherein klar
gestellt. Erfüllst du meine Erwartungen (im Sinne von erwarte dir
nichts) nicht (a la Kundinnenunzufriedenheit), wirst du ausgetauscht.
Partnerinnen-Shopping, Sex-Shopping, Tinder sei Dank!
Die Frage ist: willst du das wirklich so für dich? Willst du das
tolerieren, wenn du so etwas an dir erlebst? Schützt es dich wirklich
und wenn ja, wovor?
Meine Empfehlung: bleibt on - Emotion!
Genießt jede einzelne, funkelnde Gefühlsregung mit jeder Zelle eures
Seins, bis tief in jede Herzfaser, ob heil oder angekratzt. Ihr werdet
es nicht bereuen, es wird euch bereichern! Und am Ende könnt ihr
sagen: ich habe gefühlt!
by
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